Ein Artikel auf laut.de bezieht aktuell Stellung in der Frage, ob die deutsche Rapszene als eine Gruppe verstanden werden muss, die über die Hip Hop-Kultur aktiv verbunden ist oder vielmehr eine Ansammlung unterschiedlicher Künstler beschreibt, die zwar einen gemeinsamen Stammbaum haben, aber faktisch nichts miteinander zu tun. Diese Frage stand auch im Zentrum des gestrigen Backspin-Podcasts, in der Nico heiß mit Rapper Juse diskutierte.
Im Grunde gingen hier zwei Positionen gegeneinander: Nico von Backspin argumentierte dafür, dass trotz aller Spaltung der Szene immernoch ein grundlegendes einendes Element durch die Hip Hop-Kultur zieht. Er verbildlicht das anhand eines Baumes, der sich zwar in seinen Ästen sonstwo hin ranken kann, aber doch immer auf die gleichen Wurzeln zurückgehen wird. Juse hält dagegen, dass in seiner Erfahrung Rapper inzwischen in so verschiedenen Sphären existieren, dass man kaum noch einen gemeinsamen Nenner kennt und auch aktiv keinen Austausch oder keine Community zwischen diesen Schichten erleben kann. Die beiden rasseln sehr in ihren Versuchen aneinander, den Begriff "Szene" auszuloten, dabei merken sie nicht, dass sie im Grunde beide recht haben. Natürlich sind alle aktuell existierenden Rap-Sparten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen. Du kannst sagen, dass es von Gzuz über Aggro Berlin über Bassbox bis hin zu amerikanischen Gründervätern geht, genauso kannst du den Weg von LGoony über Lil Uzi Vert über Chief Keef über 50 Cent über Dr. Dre bis auf N.W.A. zurückgehen. All diese Artists haben Hip Hop in ihrer DNA, genau wie Mensch und Banane auch einen großen Prozentsatz DNA teilen.
Die Frage ist jetzt nun nicht, ob man die Musiker irgendwo dem kulturellen Stammbaum Hip Hop-Kultur zuordnen kann und ihnen deswegen eine metaphysische Szene-Zugehörigkeit attestieren kann, sondern für Juse ganz pragmatisch, ob er sich als Teil einer aktiven Szene in Deutschland erlebt. Und da bin ich ganz bei ihm - nein, natürlich nicht. Selbst in Oldschool-Kreisen agiert ein Haze oder ein Afrob auf einer ganz anderen Wellenlänge als eine Sookee oder ein DLTLLY-Kosmos es tun. Noch krasser wird es dann, wenn man versucht, den Kreis bis zu 187, Shindy oder Yung Hurn zu spannen. Sie alle gehören zu einer kulturellen Erbfolge, aber nicht zu einer aktiven, kommunizierenden Szene. Für einen Juse, der sich zur Zeit fragt, wie er aktiv zum deutschen Rap korrespondiert, ist da natürlich die Antwort der Distanzierung naheliegend. Warum sich als Sprecher benutzen lassen oder Verantwortung übernehmen für Jungs und Mädels, die man nicht kennt oder deren Philosophie oder Musik nichts mit der eigenen zu tun hat?
Aus unserer Sicht fehlt es dieser Diskussion allgemein an harten Fakten, welche erlauben könnten, in dieser Frage einen echten Erkenntnismehrwert zu schaffen. Stattdessen erfolgt ein Austausch von individuellen Meinungen und Beobachtungen, die sich nunmal nicht eignen, um auf die Gesamtheit der Szene übertragen zu werden und daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Zudem wäre die Frage wahrscheinlich auch besser über die Fanseite als über „Experten“ abzuklären und das sogar relativ einfach und statistisch belastbar. Eine Auswertung der beliebtesten Deutschrap Spotify-Playlisten wäre z.B. ein guter Anfang. So eine Erhebung würde offenlegen, wie die Szene in Deutschland von Fans wirklich wahrgenommen wird und in welchen Clustern Rapper dabei zusammengefasst sind. Die Fans sind schließlich genauso fester Bestandteil der Szene, wie Rapper und letztlich auch die „Königsmacher“. So sind Fans, die darüber entscheiden, welcher Trend im Rap funktioniert und wer womit Hype kreieren kann. Kurz: Fans machen Rapper, und darüber die Szene. Die Fan-Perspektive in einer solchen Diskussion nicht zu berücksichtigen, ergibt daher ein unvollständiges Bild. Die Antwort auf die Frage, wie die Szene in Deutschland strukturiert ist, kann daher nur lauten: so wie die Fans sie wahrnehmen.